Was ist eine Persönlichkeitsstörung?
Die Problemstellung der Diagnose
Um eine Persönlichkeitsstörung zu erkennen und zu definieren, muss zunächst der Normalitätsbegriff der Persönlichkeit näher betrachtet werden.
Wir Menschen entwickeln im Laufe unseres Lebens eine Persönlichkeit, die wir nach außen zeigen und die uns definiert (zusätzlich zu unserem Aussehen, unserer Identität, etc.). Sie ist gekennzeichnet durch gesellschaftliche und kulturelle Regeln und Erwartungen an den Menschen, insbesondere im zwischenmenschlichen Bereich. Abweichungen von diesen Erwartungen werden als untypisch angesehen, aber nicht automatisch als „Persönlichkeitsstörung“. Erst das häufige Übertreten bestimmter sozialer, kultureller und gesellschaftlicher Normen fällt schließlich unangenehm auf und kann, je nach Situation, zu dem Eindruck führen, das Gegenüber habe eine Persönlichkeitsstörung.
Aus psychologischer Sicht wird eine Persönlichkeitsstörung erst dann festgestellt, wenn mehrere verschiedene Eigenschaften auf die betroffene Person zutreffen, unter anderem ein hoher Leidensdruck unter der eigenen Art oder auch deutliche Symptome, wie z.B. Dissoziation (Realitätsverlust, Neben-sich-stehen, Abgrenzen des eigenen „Ich“ vom eigenen Verhalten), Dissozialität (Empathielosigkeit, Missachtung sozialer Regeln, Gewaltbereitschaft) und/oder antisoziales Verhalten (Missachten rechtlicher Normen, Rücksichtslosigkeit, Verantwortungslosigkeit).
Oft dauert die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung mehrere Jahre, da eine solche Diagnose durchaus einen einschneidenden Effekt auf die Person haben kann. Hiermit werden nicht nur einzelne Verhaltensweisen als problematisch identifiziert, sondern der Person als Ganzes wird eine Störung der gesamten Persönlichkeit zugeschrieben. Viele Therapeuten warnen davor, einer Person diesen „Stempel“ zu früh aufzudrücken. Weiterhin findet man im Netz Kritiker, die gänzlich davon abraten, eine Person mit einer Persönlichkeitsstörung zu diagnostizieren. Solche Kritiken sind mit Vorsicht zu genießen und – ebenso wie alles andere, was man im Netz findet – zunächst einmal zu hinterfragen.
Doch viele Menschen leiden darunter, keine Diagnose für ihre Beschwerden zu erhalten. Für sie ist es oft ein jahrelanger, qualvoller Weg bis zur Diagnose. Denn erst mit der korrekten Diagnose kann auch eine sinnvolle, auf die Problematik bezogene Therapie beginnen.
Ein Beispiel:
Sie haben seit 2 Jahren fürchterliche Kopfschmerzen. Inzwischen befürchten Sie bereits das Schlimmste, möglicherweise einen Hirntumor. Doch bis jetzt hat sich kein Arzt so richtig getraut, Ihre Symptome genauer zu untersuchen. Sie werden wegen Ihren Nackenschmerzen zur Krankengymnastik aufgefordert. Ihre Kopfschmerzen behandeln Sie inzwischen selbstständig mit Schmerztabletten, was aber nur stundenweise die Symptome unterdrückt. Ihre Sehprobleme wurden mit einer Brille korrigiert. Doch all das ändert nichts daran, dass Sie immer wieder gereizt und bisweilen aggressiv auf Geräusche, Stress oder das Arbeitsumfeld reagieren. Von verschiedenen Personen wurden Sie bereits auf Ihr untypisches Verhalten angesprochen, und Sie bemerken deutliche Einschnitte im sozialen Bereich, da Sie sich die meiste Zeit in Ihr Bett verkriechen möchten.
Hier wäre es für Sie vermutlich eine große Entlastung, endlich die richtige Diagnose gestellt zu bekommen. Denn mit der Diagnose (in diesem Beispiel evtl. Migräne, Depressionen, Zahnprobleme, …) kommt auch eine Behandlungsmöglichkeit in Betracht. Sie können sich endlich vorstellen, bald wieder frei von den Schmerzen zu sein. Oder Sie wissen zumindest, was sie unter einer akuten Schmerzattacke unternehmen können. Sie können entlastet durch den Alltag gehen, Ihre sozialen Kontakte wieder aufnehmen und trotz Kopfschmerzen auch mal lächeln – denn Sie wissen nun, was zu tun ist.
So kann es also auch Patienten einer Persönlichkeitsstörung behilflich sein, die Diagnose gestellt zu bekommen.
Doch leider ist es nicht immer ganz so einfach.
Selbst in der heutigen Zeit ist eine Störung der Persönlichkeit, ebenso wie andere psychische Erkrankungen, für viele Menschen eine nicht begreifbare Verfassung. Manche können es nicht verstehen, weil die psychischen Erkrankungen nicht sichtbar sind, wie z.B. ein Beinbruch. Manche wollen es nicht verstehen, z.B. weil sie selbst gesund, willensstark und selbstbewusst sind und sich nicht vorstellen können, dass es anderen Personen nicht so gut geht.
Dies belastet natürlich auch die Betroffenen. Im Unwissen, ob man anderen davon erzählen kann oder nicht, versuchen Betroffene häufig, die Diagnose zu verheimlichen. Wem kann man sich anvertrauen? Familie, Freunde? Sollte man den Kollegen mitteilen, wieso man sich manches Mal untypisch verhält, oder gar dem Chef? Droht nun eine Kündigung, weil man beispielsweise nicht die sozialen Kompetenzen erreichen kann, die gewünscht sind?
In diesem Fall stellt die Diagnose die Betroffenen vor eine große Herausforderung: der Frage, wie man damit umgeht. Denn eine psychische Störung zu haben, ist leider immer noch Tabu.
Die Ursachen einer Persönlichkeitsstörung
Würden sich mehr Menschen für die Ursachen von psychischen Erkrankungen interessieren, wäre das sicher ein Schritt in eine offenere Gesellschaft im Umgang mit solchen. Natürlich benötigte man hierzu auch eine größere Aufklärung in Bezug auf Therapiemöglichkeiten und Genesungschancen. Doch in diesem Abschnitt möchte ich zunächst auf die Ursachen eingehen.
Persönlichkeitsstörungen lassen sich auf Kindheit und/oder Jugend zurückführen. Hier ist der Entstehungspunkt für die später entwickelte Störung zu suchen. Oft sind es Traumata oder psychische Belastungen, die Kind oder Jugendliche/n massiv beeinflusst haben. Aus diesen Erlebnissen kann dann eine psychische Erkrankung, wie z.B. die Persönlichkeitsstörung, folgen. Nicht immer muss die Belastung durch (psychische oder physische) Gewalt entstanden sein – auch Mobbingopfer gewesen zu sein, einen Unfall mit angesehen oder eine Naturkatastrophe erlebt zu haben – all das sind psychische Belastungen, die bei einem Kind oder Jugendlichen Auslöser für die später entwickelte Störung sein können.
Natürlich reagiert jeder Mensch anders, sodass nicht jede Person, die solches erlebt hat, automatisch eine psychische Erkrankung entwickelt. Dennoch sollte man sich vor Augen führen, dass der Mensch eine solche Erkrankung entwickelt, weil er äußerst belastende Situationen erfahren hat. Die Krankheit dann als „Einbildung“ zu titulieren, ist nicht nur falsch, sondern auch sicher nicht mehr zeitgemäß!
Zum Schluss: Was IST eine Persönlichkeitsstörung?
Eine Persönlichkeitsstörung ist zumeist ein auffälliges Verhaltensmuster, das über einen langen Zeitraum hinweg zu beobachten ist und welches bei Betroffenen (und Angehörigen) einen großen Leidensdruck auslöst. Der oder die Betroffene scheint in vielen sozialen und beruflichen Situationen ein unangemessenes Verhalten an den Tag zu legen, z.B. durch Impulsivität, Stimmungsschwankungen oder empathieloses Verhalten.
Es gibt mehrere Spezifikationen der Persönlichkeitsstörung, sodass sich diese unterschiedlich ausdrücken können.